Ben Wichert aus Wuppertal, einer der weltbesten Hip Hop Tänzer gründete 2018 das Urban Art Complex in seiner Heimatstadt Wuppertal. In einem Interview mit der BERGISCHEN schildert er seine Beweggründe, die Leidenschaft zum Tanzen und welche besonderen Erfahrungen er mit dem Hip Hop verbindet.
Herr Wichert, Sie sind der Gründer des Urban Art Complex in Wuppertal. Können Sie uns sagen, was genau das Urban Art Complex ist?
Ben Wichert: Ja, sehr gern. Ich bezeichne das Urban Art Complex in erster Linie als eine kulturelle Einrichtung für „Streetart“ Straßenperformance. Wir sind ebenfalls eine klassische Tanzschule für Hip Hop, aber wir bieten darüber hinaus noch andere Sparten an. Wir haben einen hauseigenen DJ Joseph Woldu aka Dj Joseph Wu, machen eigene Musik und Beats, drehen eigene Videos und veranstalten spartenübergreifende Projekte, wie z.B „Hip da drum“. Ein fantastisches Förderprojekt, das den jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern das rhythmische Trommeln in Verbindung mit Tanz und Poetry näherbringt. Das Image der Hip Hop Kultur hat sich in Deutschland stark gewandelt. Früher wurde man teilweise schief angeschaut, wenn man Baggy oder weite Sachen trug (lacht). So, wie die Akzeptanz für den Hip Hop steigt, versuchen auch wir im Urban Art Complex uns weiter zu entwickeln und immer wieder coole Features und Projekte umzusetzen.
Sie sind 2012 Weltmeister im Hip Hop Freestyle geworden, waren Juror der Hip-Hop Freestyle WM 2017 und belegten den 2. Platz bei der TV Show „Got To Dance“. Schildern Sie uns doch mal, wie Sie zum Hip Hop gekommen sind und was die vielen Erfolge mit Ihnen gemacht haben.
Wichert: Hmm, ich glaube, das Hip Hop tanzen liegt mir einfach im Blut (lacht). Meine Familie stammt aus Ghana und bei uns war es schon immer Tradition zu tanzen und sich zu afrikanischer Musik zu bewegen. In meiner Kindheit hörte ich durch meine Eltern auch viel Soul, Jazz, Bobby Brown, Whitney Houston und natürlich Michael Jackson, einen der größten Tänzer aller Zeiten. Ich hatte also schon recht früh Berührungspunkte mit Tanzen und Musik. Als Teenager ging ich oft ins Jugendzentrum um die Ecke und lernte dort Gleichgesinnte kennen, die die Leidenschaft zur Musik und zum Hip Hop teilten. Dort war es üblich, dass man sich in Tanzbattles miteinander gemessen hat. Das ging dann soweit, dass einige Freunde zu mir sagten: „Ben, du musst mal zu einem offiziellen Battle gehen!“ Ich versuchte also mein Glück auf bundesweiten Battles, wo es um Preisgelder und Trophäen ging. Und ganz nebenbei lernte ich so als junger Mann Deutschland kennen. Irgendwann nahm ich auch an internationalen Wettkämpfen teil. Das absolute Highlight war dann 2012 in Paris, als ich der erste deutsche Weltmeister im Hip Hop Freestyle tanzen „Juste Debout“ wurde. Dieses Event war und ist bis heute für die weltweite Hip Hop Tanzszene ein prägender Leitfaden und das für Freestyle Tänzer höchste Performance Level überhaupt. Parallel habe ich noch die Ausbildung zum Automatisierungstechniker abgeschlossen, aber es war schnell klar, dass das Tanzen meine Berufung ist. Umso fantastischer, dass es geklappt hat und ich mein Hobby letztendlich zum Beruf machen konnte und nun eine Tanzschule leite.
Sie hatten also schon früh im Leben viele Berührungspunkte mit dem Tanzen. Würden Sie sagen, dass man für den Hip Hop bestimmte Voraussetzungen mitbringen muss?
Wichert: Das Allerwichtigste ist der Spaß. Ohne Spaß am Tanzen funktioniert es nicht. Man muss mit Leichtigkeit an die Sache rangehen, egal ob man Hip-Hop, Salsa oder Standard tanzt. Ich bezeichne den Zustand gern als „fließend“. Du bringst dich dabei selbst in einen schwerelosen Zustand, denkst nicht über die nächsten Schrittfolgen nach und lässt dich komplett von deinen Gefühlen leiten. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl. Körper und Geist verschwimmen und werden sozusagen eins in der Bewegung. Eine Reise zu sich selbst sozusagen. Man kennt das doch: Ein Lied wird im Radio gespielt und man fängt automatisch an sich dazu zu bewegen, manchmal sogar völlig unbewusst. Jeder Mensch bringt von Geburt an unterschiedliche Rhythmusgefühle mit sich. Das ist die Grundlage, um später andere Rhythmen und Tänze, wie Hip Hop, zu erlernen.
Bewegung ist ein gutes Stichwort. Als gesetzliche Krankenkasse liegt es uns sehr am Herzen, dass unsere Kunden sich ausreichend bewegen und für ihre Gesundheit vorsorgen. Warum ist für Sie Bewegung so wichtig?
Wichert: Bewegung ist essentiell für den Körper. Sie hält fit, stärkt das Immunsystem, löst Blockaden und verbessert die eigene Körperkontrolle. Und für das Tanzen ist Bewegung auch nicht ganz unwichtig (lacht). Bei regelmäßigem kreativen Tanzen und sportlicher Bewegung trainiert man wichtige neurale Verbindungen im Gehirn. Die Konsequenz: Man kann sich besser konzentrieren, ist leistungsfähiger und kreativer. Nicht ohne Grund gibt es viele Therapien, die Bewegung und Tanz als erfolgreiche Maßnahme zur Rehabilitation anwenden. Unsere Projekte zielen darauf ab, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu mehr Bewegung zu animieren, ganz egal wie alt sie sind.
Eine gute Überleitung zu meiner nächsten Frage: Im Urban Art Complex bieten Sie diverse Kurse und Workshops, wie das „Wupper Dance Camp“ und die „Bergischen Tanzzwerge“. Möchten Sie uns darüber mehr erzählen?
Wichert: Gerne! Die Idee des Wupper Dance Camps ist es, dass Hip Hop- und Tanzbegeisterte die Möglichkeit haben, mehrere Tage am Stück mit Profis aus aller Welt zusammen zu trainieren. Sie lernen neue Tanzstile kennen und messen sich in coolen Battles miteinander. Aus den Bereichen Hip Hop, House, Afro, Soca, Dancehall, B-Boying und Ladies Heels ist hoffentlich für jeden etwas dabei und es ist möglich sein Workshop-Programm ganz individuell zu gestalten. Ein reger Austausch zwischen den Trainern und Teilnehmern ist garantiert. Wirklich eine tolle Sache. Wir haben regelmäßig Teilnehmer aus dem In- und Ausland, die ihre Skills verbessern wollen.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass viele Teilnehmer das Camp als Sprungbrett für weitere Battles und Wettbewerbe sehen.
Wichert: Auf jeden Fall! Viele sehen das Wupper Dance Camp als Möglichkeit sich weiterzuentwickeln und die gelernten Skills für andere Wettkämpfe zu nutzen. Aus diesem Grund haben wir das Camp auch mit einem Anfängerkurs ergänzt. Für Kinder und Jugendliche, z. B. ab 13 Jahren, bieten wir auch ein individuelles Programm an. Wir wollen, dass jeder Spaß hat und sich nicht von anderen Teilnehmern abgehängt fühlt.
Fallen die „Bergischen Tanzzwerge“ in diese Kategorie?
Wichert: Mit den bergischen Tanzzwergen wollen wir die wirklich ganz Jungen abholen und insbesondere diejenigen erreichen, deren Eltern sich eine Mitgliedschaft in einer Tanzschule finanziell nicht leisten können. Wir sehen das UAC (Anmerk. d. Redaktion: Abkürzung für Urban Art Complex) als Einrichtung mit Bildungsauftrag. Tanzen fördert das Miteinander, das Sozialverhalten und stärkt gleichzeitig die körperliche Motorik der Kinder. Wir arbeiten da mit mehreren Kita Einrichtungen zusammen, die sich auch selbst miteinander vernetzen und austauschen. Für das nächste Wupper Dance Camp wollen wir auch mit euch (Anmerk. d. Redaktion: mit der BERGISCHEN Krankenkasse) das Thema Gesundheit noch stärker in den Vordergrund rücken. Wir planen ein „Dance Anatomy“ Gesundheitsprogramm, dass das Ziel hat, die Ganzkörperkräftigung in den Fokus zu stellen und zu zeigen, wie wichtig eine gute Körperkontrolle und Körperbewusstsein für den Alltag ist. Leider hat uns die Situation, rund um das Coronavirus, etwas ausgebremst in den letzten Wochen und Monaten.
Das ist wahr. Die Situation ist gerade nicht einfach. Umso mehr freuen wir uns, wenn wir bald wieder mit dem UAC zusammenarbeiten können. Vielleicht hilft an dieser Stelle ein kurzer Blick in die Vergangenheit. Was war das bisher größte Erlebnis in Ihrer Karriere?
Wichert: Da denke ich natürlich an die gewonnene Weltmeisterschaft 2012 zurück. Ein unbeschreibliches Gefühl vor 16.000 Zuschauern den Titel zu erringen. In diesem Moment denkt man an die Monate und Jahre zurück, in denen man hart für diesen Traum gearbeitet hat. Durch das Tanzen habe ich unglaublich tolle und außergewöhnliche Menschen kennengelernt. Im UAC lebe ich meinen Traum einer eigenen Tanzschule und das sogar in meiner Heimatstadt Wuppertal. Hätte man mir das vor 10 Jahren gesagt, hätte ich denjenigen nur ungläubig angeschaut (lacht). Gegenfrage: Darf ich kurz in die Zukunft blicken?
Gerne doch. Sie wollen bestimmt auf Ihren Kinofilm „Fly“ zusprechen kommen?
Wichert: Genau! Das ist ebenfalls eine Sache, auf die ich wahnsinnig stolz bin. Ich spiele die Rolle von Jay, einem 26-jährigen Berliner, der Hip Hop liebt und schon früh auf die schiefe Bahn geraten ist. Im Zuge dessen lernt er andere Tänzer kennen, die ihm helfen aus dem Sumpf herauszukommen. Unter anderem „Bex“ (Svenja Jung) seine große Liebe. Es ist ein Film voller Hoffnung, dem Glauben an seine eigenen Fähigkeiten und dem unbändigen Willen, es zu schaffen. Mehr möchte ich an dieser Stelle noch nicht verraten (lacht). Ich finde, der Film zeigt sehr anschaulich, wie das Leben als Hip Hop Tänzer in Deutschland, aber auch weltweit, eigentlich aussieht. Die Schauspiel Kollegen Jasmin Tabatabai und Katja Riemann und Andreas Pietschmann machen den Film zu einen echten Hingucker. Der Film sollte im Februar 2021 ins Kino kommen, aber aufgrund von Corona wird sich der Starttermin noch einmal verschieben.
Danke für den Hinweis. Wir werden den genauen Starttermin zu gegebener Zeit auf unseren Kanälen veröffentlichen.
Wichert: Das wäre super (lacht). Vielen Dank!
Wenn wir jetzt gerade so schön in die Zukunft blicken: Welche Ziele und Wünsche haben Sie für die kommende Zeit?
Wichert: Ich wünsche mir, dass es uns allen bald wieder bessergeht und wir wieder ein normales Leben führen können, ganz ohne Einschränkungen. Für die Zeit nach der Pandemie wünsche ich mir, dass wir weiterhin zusammenstehen und tolerant zueinander bleiben. Der Hip Hop und sein Ursprung ist ein gutes Beispiel, dass für Rassismus kein Platz ist. Im UAC leben wir Toleranz und Weltoffenheit. Es gibt keine sozialen Schichten und Farben, sondern nur Tänzerinnen und Tänzer. Ich hoffe, wir können da lokal und kommunal mit gutem Beispiel vorangehen.
Dem kann ich mich nur anschließen. Die Pandemie ist eine Chance, dass wir zukünftig näher zusammenrücken und Hautfarbe und Herkunft keine Rolle spielen. Herr, Wichert, ich danke Ihnen für das angenehme Gespräch und wünsche Ihnen für die kommenden Aufgaben alles Gute.
Wichert: Vielen Dank!
Das Interview führte Michael Ganter von der BERGISCHEN Krankenkasse.