„Ich schenk’ dir mein Herz.“ So steht es in schwarzer Schrift auf einem bemalten Stein, nur wenig größer als eine Handfläche. Neben den Worten ist eine niedlich gezeichnete Comic-Figur zu sehen, die ein knallrotes Herz in der Hand hält und den Betrachter lustig anlacht. Bemalt hat diesen Stein Simone Lafleur aus Solingen. Sie lebt seit Oktober 2019 nach einer Organtransplantation mit einem fremden Herzen. „Ich schenk’ dir
mein Herz“ bekommt so eine völlig neue Bedeutung. Ich schenk’ dir ein neues Leben, könnte man ebenso gut sagen. Denn genau so fühlt es sich für die 49-jährige Versicherungskauffrau an.
Noch ist das Treppensteigen ein wenig beschwerlich, über Blutdruck, Puls und Gewicht führt Simone Lafleur morgens und abends gewissenhaft Buch, und vorerst wird es nichts mit einem Ausritt auf dem Pferd. Zu gefährlich. Längere Strecken gehen noch nicht ohne Rollator („Mein Mercedes!“). Außerdem muss sie jeden Tag 15 Tabletten schlucken, damit ihr Körper das neue Organ nicht wieder abstößt. „Aber im Wesentlichen geht es mir gut“, sagt Lafleur. „Ich will wieder ein normales Leben führen.“ Normal, das bedeutet ein Leben ohne gesundheitliche Probleme und ohne Einschränkungen und vor allem ohne das Gefühl zu haben, dass jeder Schritt eine Qual ist und selbst einfache Tätigkeiten zu einer Belastung werden. „Früher habe ich mein Herz gespürt – es schlug unruhig und stolperte. Heute merke ich gar nichts mehr von ihm – nun schlägt
es gleichmäßig und kräftig. Die Ärzte sagen, ich sei wieder herzgesund.“
Begonnen hat alles 2007 bei einer Routineuntersuchung. „Bei einem Ü35-Checkup hat meine Ärztin festgestellt, dass auf dem EKG etwas nicht stimmt und mich zum Kardiologen überwiesen“, erzählt Lafleur. Der stellt Herzrhythmusstörungen fest und schickt sie umgehend in eine Wuppertaler Klinik. Schnell ist klar, dass Lafleurs Herz schwer geschädigt ist. „,Wissen Sie eigentlich, wie schlecht es Ihnen geht?‘, fragten mich die Ärzte, als ich nur schnell wieder nach Hause wollte.“ In einer Operation setzen die Spezialisten ihr einen Defibrillator ein. Routine für die Wuppertaler Operateure. Der kleine implantierte Schockgeber greift mit kleinen Stromstößen immer dann ein, wenn Lafleurs eigenes Organ zu schwach ist, es zu Kammerflimmern oder Aussetzern kommt. Mehrmals in den vergangenen Jahren hat der kleine Apparat Simone Lafleur mit Stromstößen das Leben gerettet und die gefährlichen Rhythmusstörungen beendet. Die Solingerin ahnt, dass ihr Leben mit dem Defi nur eine Zwischenetappe sein würde. Die Ärzte eröffnen ihr, dass sie früher oder später auf ein Spenderorgan angewiesen ist. Eher früher; wie lange ihr eigenes Herz noch schlagen wird, kann ihr niemand sagen. Im Laufe der Zeit geht es ihr immer schlechter. An einen beschwerdefreien Alltag ist längst nicht mehr zu denken. Atemnot, Kurzatmigkeit – all das versucht sie zunächst vor der Familie, Freunden und Arbeitskollegen herunterzuspielen. „Ich habe versucht, die Probleme zu verheimlichen, und wollte selbst mir nicht eingestehen, dass ich schwer krank bin.“
Im Sommer 2019 kommt Lafleur schließlich wieder ins Krankenhaus, diesmal in eine Spezialklinik in Bad Oeynhausen. Sofort ist klar: Ohne ein neues Herz wird sie die Klinik nicht wieder verlassen. Auf der Warteliste für Organspenden wird Simone Lafleur sofort als „hochdringlich“ gelistet. Ein Rennen gegen die Zeit. „Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich dortbleiben musste; ich hatte große Angst, Weihnachten nicht zu Hause feiern zu können.“ Am 11. Oktober steht schließlich nachmittags überraschend der Oberarzt in ihrem Zimmer: „Anruf von Eurotransplant. Wir haben ein Herz für Sie!“ Frühm morgens am nächsten Tag soll ihr das neue Organ eingesetzt werden. Obwohl Lafleur sonst bei medizinischen Eingriffen eher ängstlich ist, bleibt sie diesmal völlig ruhig. „Am Ende wird immer alles gut. Davon bin ich überzeugt. Zumal mein Mann einen Tag später Geburtstag hatte. Künftig können wir diesen Tag zusammen feiern.“ Trotz ihres Optimismus‘ erzählt sie vorher nur ihrem Mann und den beiden Töchtern von dem Eingriff. Fünf Stunden dauert die lebensrettende Operation, und sie verläuft erfolgreich. Es folgen ein paar „harte Tage“ mit starken Schmerzen. Dann plötzlich ein Rückfall. Komplikationen, Wasseransammlung im Herzbeutel. Ein zweiter Eingriff ist notwendig, diesmal eine Not- OP. „Ich hatte nach dem Aufwachen noch mehr Schmerzen“, erinnert sich Lafleur. „Mir ging es richtig, richtig schlecht.“ Zweifel hat sie dennoch nicht. Die kommen selbst dann nicht, als sie sich in der Klinik auch noch den Rücken verknackst. „Ich kann Rückschläge wegstecken“, erzählt die Solingerin. Und: „Ich würde jeder Zeit wieder einer Transplantation zustimmen!“ Denn Zweifel hat sie keine. Weder daran, gesundheitlich wieder auf den Damm zu kommen, noch daran, dass es richtig ist, mit einem fremden Herzen zu leben. „Es war doch der Wunsch des Spenders, seine Organe nach seinem Tod für andere Menschen herzugeben.“ Sie selbst hat schon seit vielen Jahren einen Spendeausweis. Auch ihr Mann und die beiden Töchter haben sich mittlerweile dazu entschieden.
Lafleur hat ihren eigenen Weg gefunden: „Ich gehe offen mit meiner Erkrankung und der Transplantation um. Auch um anderen Mut zu machen.“ Weihnachten haben Simone Lafleur und ihr neues Herz zu Hause wunschgemäß in Solingen verbracht. Gemeinsam mit ihrer Familie. Anfang Dezember hat es sogar schon für einen Ausflug zum traditionellen Weihnachtsdürpel in Ohligs gereicht – und für einen Abstecher zum Stand der bergischen Krankenkasse. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krankenkasse haben dort für einen guten Zweck drei Tage lang Grünkohl verkauft. Lafleur ist es wichtig, dort vorbeizuschauen und sich für die Hilfe zu bedanken. „Ich möchte mich auf dem diesem Weg einmal für Ihre Unterstützung während meiner langen Krankschreibung und meines Krankenhausaufenthalts bedanken“, schreibt sie auch in einer Weihnachtskarte, die sie an die Mitarbeitenden der gesetzlichen Krankenkasse schickt.
Außerdem schenkt sie ihnen noch einen Stein, der von Solingen aus auf Reisen gehen soll „Ich schenk’ dir mein Herz“ ist darauf zu lesen.